Innovation

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Tradition

Etablierte Unternehmen kämpfen oft mit Innovation, das wissen wir spätestens seit Clayton Christensen. Dabei ist niemandem ein Vorwurf zu machen: die Zukunft ist ungewiss, die Prognosen oft unglaubhaft, und auf der anderen Seite schnurren Prozesse und Kundenbeziehungen. In einem solchen Umfeld substanzielle Änderungen voranzubringen, ist eine besondere Herausforderung, die besondere Umstände bzw. Fähigkeiten erfordert: Weitsicht, Mut und Macht. 

 Ein Beispiel. In den frühen 1980er Jahren gründeten die geschäftsführenden MANZ-Gesellschafter Franz Stein und Anton Hilscher gemeinsam mit Norbert Orac und weiteren Partnern die RDB-Rechtsdatenbank. Gut 10 Jahre, bevor das “Internet” seinen Siegeszug antrat. Vergegenwärtigen wir uns das damalige verlegerische Umfeld: Global feierten immer neue Loseblattwerke mit hoher und höchster Aktualisierungsfrequenz wirtschaftliche Erfolge. Die Produktion aller Printtitel hatte gerade den Sprung vom Bleisatz ins Computerzeitalter geschafft. Prospektwerbung und Abonnementverwaltung waren allgemein fest etabliert. Was, wenn nicht Weitblick, Mut und – das sei nicht verhehlt – auch den Verzicht auf unternehmerisches Einkommen hat es damals bedurft, um diesen Schritt zu gehen?

 Und heute? Heute ist alles wie damals, nur anders. Auch 2021 bedarf es mutiger Entscheidungen, wenngleich einige Parameter sich etwas verschoben haben: nicht so sehr auf der Kundenseite, wo es gleich wie früher stabile Beziehungen gibt, die zu ertragreichen Geschäften führen. Verändert haben sich aber die Themen, die heute in einer breiten Vielfalt auftauchen, so dass sich nicht nur die Frage des “Ob”, sondern auch des “Was” stellt.

 Buzzwords gefällig? Blockchain, Smart Contracts, Natural Language Processing, Open Source, Open Data, Cloud Computing, Neuronale Netze, Machine Learning, Artificial Intelligence, Hybride Fortbildung, Flat-Tarife, Knowledge Management etc. Man erkennt: alle diese Entwicklungen haben einen potenziellen Anknüpfungspunkt zu juristischen Informationsdienstleistern (früher: “Verlagen”). Jedes Thema für sich ist aber groß, komplex und zunächst schwer begreifbar. Die Dimension der Entscheidungen multipliziert sich also. Das kaufmännische Risiko nicht minder. Dennoch liegt es in der Verantwortung der Unternehmen, ihr Angebot weiter zu entwickeln, auch wenn Mittelfristprognosen längst abgeschafft sind und Businesspläne das Odium des Altpapiers in sich tragen.

 Ein Beispiel aus der Praxis: Im Jahr 2017 entschied sich MANZ, eine eigene, österreichische  Cloudlösung für seine Kunden anzubieten. Warum? Weil man sich in der Einschätzung sicher war, dass dezentrale Datenhaltung und Kollaboration auch bei Juristen eine wichtige Rolle spielen werden, klassische Cloudlösungen mit Datentransfer über die ganze Welt aber nicht zum Zug kommen können. Völlig unklar waren zu diesem Zeitpunkt das regulatorische Umfeld, die sich stetig verändernde Dimension der Sicherheitsthemen und das Verhalten anderer Marktteilnehmer. Das Projekt ist geglückt – die MANZ Cloud wird mittlerweile von zahlreichen Kunden verwendet, sie ist auch intern das Mittel zum sicheren Datenaustausch. Genauso gut hätte das Projekt aber auch scheitern können.

 Wenn es um Erneuerung geht, kommt dem Verhalten der Organisation eine besondere Rolle zu; erfolgreiche Organisationen sind ja per se nicht unbedingt innovationsfreundlich. In unserem Fall hat sich eine Mehrgleisigkeit bewährt: auf der einen Seite sind die für das Bestandsgeschäft Verantwortlichen aufgerufen, die Entwicklung ihrer Märkte zu beobachten und Innovationen zu treiben – sozusagen von innen. Zusätzlich gibt es eigene Funktionen, die Entwicklungen und Möglichkeiten jenseits des Bestandsgeschäfts ausloten – Innovation von außen. Wogegen wir uns entschieden haben, ist ein eigenes “Lab”, das jenseits aller Konventionen Innovationen entwickelt und in dem Markt bringt. Einerseits sind wir überzeugt, dass es dafür einer kritischen Größe bedarf; und dann ist der Pool der möglichen Mitwirkenden (“Autoren”) ebenso derselbe wie jener der anzusprechenden Kunden. Hier so zu tun, als ob das Bestehende mit dem Neuen nichts zu tun hätte, halten wir jedenfalls in unserem überschaubaren Österreich für unglaubwürdig.

 Habe ich die Rolle der Eigentümer schon erwähnt? Alles oben Geschilderte verlangt nach einem “langen Atem”. Und hier sind familiengeführte Unternehmen typischer Weise im Vorteil. Das periodenübergreifende Denken gehört häufig zum familiären “Mindset”, ebenso die Bereitschaft, wenn nötig auf kurzfristige Rentabilität zu verzichten. Nachhaltiges Wirtschaften, wie es heute gefordert wird, ist in Familienunternehmen ethisch fest verankert. Die Entscheidungen für die zukünftige Ausrichtung werden dadurch nicht leichter; gerade aber Mitarbeiter können ein Stück befreiter agieren – so fördert die Tradition die Innovation.

Dr. Wolfgang Pichler arbeitet seit 35 Jahren bei MANZ. In seiner heutigen Funktion bezeichnet er sich als “Freigeist der Geschäftsleitung”